Das Herz an die RSG verloren

Nachrichten Reportage

Für Alexandra Faber, Trainerin in der Rhythmischen Sportgymnastik, ist der Beruf großes Hobby und große Leidenschaft

Manchmal ist es nicht schlecht, im Schatten zu stehen. Etwa an einem sonnig-heißen Sommertag im Olympiapark, wo im Olympiastadion noch die Fußball-EM läuft und die Kicker von Hertha BSC die Vorbereitung auf ihre nächste Zweitliga-Saison aufnehmen, umringt von Fans und Kameras. Fast unbemerkt wird auch in den Gebäuden dahinter trainiert, etwa Rhythmische Sportgymnastik.

In der Turnhalle des Deutschen Sportforums stehen sechs junge Gymnastinnen und verrenken sich. Die Mädchen im Alter von elf bis 14 Jahren stehen vorgebeugt, schleudern ihre Arme wild um sich und wirken dabei extrem biegsam, halten zusätzlich kleine Sandsäcke als Gewichte in den Händen. „Schwer heute bei der Hitze, oder?“, ruft ihre Trainerin Alexandra Faber und wedelt einen Fächer. Auch wenn es in der Halle minimal kühler ist als draußen, wird umso schweißtreibender gearbeitet. 

Härter als beim Fußball

Wer Sportgymnastik nur mit Glitzer, Schminke, Reifen und Keule verbindet, verkennt, dass es hier oft härter zugeht als beim Fußball, der deutlich mehr in Sonnen- und Rampenlicht steht. „Man muss sein Herz schon daran verloren haben, sonst hält man es nicht durch“, beteuert die 46-jährige Faber. Das gilt nicht nur für ihre Nachwuchs-Athletinnen von der Sportschule im Olympiapark – Poelchau-Schule, sondern auch für die Landestrainerin Rhythmische Sportgymnastik beim Landessportbund Berlin. „Es war immer mein großes Hobby, meine Leidenschaft.“ Ein Beruf, auf den sie lange hinarbeitete. Die studierte Pädagogin war zunächst Sportreferentin, bis 2018 eine Trainerstelle geschaffen wurde.

Nur erst einmal musste die West-Berlinerin auf RSG kommen, wie die Sportart oft abgekürzt wird. „Ich habe es im Ostfernsehen gesehen, in der UdSSR ist der Sport ja entstanden, war viel bekannter und wurde regelmäßig übertragen“, erzählt sie. Da habe sie ihrem Vater gesagt, das wolle sie auch. „Er hat beim Bezirksamt angerufen, wo es das gibt, da wurde uns dann ein Verein vorgeschlagen.“ Bis heute ist RSG in Osteuropa populär. „In Russland ist es für Mädchen Volkssport Nummer eins.“

Es ist fast ein Klischee, doch haben alle ihre Gymnastinnen hier einen osteuropäischen Hintergrund, Zuwachs gibt es durch ukrainische Geflüchtete. „Es kommt da auf die Eltern an, die jungen Damen starten schon mit drei oder vier Jahren, da müssen Eltern ja erst wissen, dass es das überhaupt gibt.“ Bei deutschen Familien sei es schwerer, der Leistungssportgedanke nicht so ausgeprägt. Da gehe es eher um eine allgemeine Ausbildung, musisch, künstlerisch, sportlich, wissenschaftlich, da komme ein Leistungssport, sechs Tage die Woche, 40 Stunden in der Halle stehen, für viele nicht in Frage. Zumal der Sport kurzlebig sei, mit dem Abitur die Karriere oft vorbei; woanders startet sie da erst.

Ein bisschen Hollywood in Berlin

Faber zeigt, was sie mit harter Gymnastik-Arbeit meint, führt in den imposanten Kuppelsaal, wo 1936 Fechtwettbewerbe stattfanden und Hollywood einen der „Tribute von Panem“-Filme drehte. Unter der hohen Decke, zwischen den Tribünen, absolvieren Mädchen mit Ballettmeister Übungen, heben die Beine an der Stange, andere dehnen sich so extrem, wie es kaum eine Yogagruppe könnte. Über Jahre arbeite man an der Beweglichkeit, der Feinmotorik und Genauigkeit, erklärt Faber, aber ob jemand Talent habe, erkenne sie schon beim Hereinkommen, wie sich ein Kind bewege, wie es gehe. Wobei es nie Jungs sind. „Deutschland ist da unterentwickelt, Spanien und Japan sind uns voraus.“ Hierzulande ist RSG reiner Frauensport. Wäre es umgekehrt, gäbe es vermutlich einen Aufschrei.

So ist Fabers Aufgabe aber Athletinnen auszubilden für das Nationalteam, das bei Stuttgart trainiert. Auch wenn es in Berlin nur 500 Aktive gebe, am Stützpunkt hier 25, sei der Leistungsdruck hoch. „Mit Zuckerbrot und Peitsche“ beschreibt Faber dabei ihren Stil. „Man muss auch Humor haben und die Kinder motivieren, aber auch mal harte Worte wählen, wenn Leistung nicht erreicht wird.“

Der Alltag ist selten glamourös wie der Kuppelsaal. Fabers Gruppe trainiert in einer Schulturnhalle, auch am Olympiagelände. Während Faber in Badelatschen noch eine kleine Musikbox aufstellt, huschen die Mädchen hinein. „Eva, Maus, kommst du mal in die Mitte und zählst an?“, ruft Faber. Während sich die Kinder im Takt der Zahlen bewegen, achtet ihre Trainerin auf die kleinen Details. „Ell-bogen! Ell-bogen!“, ruft sie immer wieder, manchmal sogar mit russischem Akzent: „Da-wai!“

Sie hat es sich angewöhnt, statt „Los! Weiter!“ Es kommt an bei den Kindern: „Alex ist sehr nett, kann auch streng sein“, sagt Eva, die Anzählerin. Faber achtet auf Kinderschutz, sensible Sprache: Denn Missbrauch geschehe häufiger psychisch als psychisch, es gebe viele Workshops zum Thema. Aber es nervt sie, wenn RSG vorgeworfen wird, sie drille Athletinnen zu einem gewissen Aussehen. „Sie sind oft eben richtige Mädchen, wollen sich schick machen“, sagt sie, fit würden sie ohnehin. Den Fußballern draußen wirft man ihre Eitelkeit seltener vor. Dabei schwitzen sie oft nicht mehr.

Text: Dominik Bardow

Fotos: Maurice Weiss