„Das Thema immer mitdenken“

Reportage

Nachhaltigkeit – das klingt sperrig, und viele Vereine haben mit Training und Wettkampf genug zu tun. Doch immer mehr sind bereit, ihre Bedürfnisse in der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Wie genau? Handlungsempfehlungen geben der LSB, der Beirat „Sport und Umwelt“ beim Bundesumweltministerium oder das Bundesprojekt „Breitensport, Umwelt und Nachhaltigkeit“ (BUNA).

Nachhaltigkeit kann auch lecker schmecken: Beim Berliner Tennis- und Tischtennisclub (BTTC) Grün-Weiss in Lichterfelde, dort wo auf den Feldern die Bälle ploppen, ist auf der Wiese hinter Platz 11 ein Bienenstock aufgestellt. Schul-Imker (www.die-schul-imker.de) durften ihn 2021 auf der Sportanlage aufstellen. Seitdem verkauft die Club-Gastronomie „Cantina Verde“ auf dem Gelände vereinseigenen Honig. Doch damit begnügte man sich im grünen Südwesten der Stadt nicht: ein Blockheizkraftwerk, eine Solarthermie-Anlage, LED-Beleuchtung, E-Ladesäulen oder das Recycling alter Tennisbälle, die Maßnahmenliste ist lang. Nachhaltigkeit spiele im BTTC eine wichtige Rolle, sagt Martin Melchior, Leiter der Geschäftsstelle. „Luft nach oben ist natürlich immer, aber ein guter Anfang ist gemacht.“

Dabei hat Umwelt- und Ressourcenschutz längst nicht mehr nur ein gutes Image in der Gesellschaft und speziell bei Sportvereinen. Viele sperren sich gegen das sperrige Thema. Gegen Veränderung, schlechtes Gewissen, widersprüchliche Informationen, die nerven können. Vereine setzen oft andere Prioritäten, auf Training und Wettkampf. Für Bürokratie und Förderanträge fehlen Zeit und Energie. Daher fragen sich einige Vereinsvertreter: Warum jetzt in etwas investieren, was erst später sichtbar wird, wenn überhaupt? Die verkürzte Antwort könnte lauten: Weil es sich lohnt, auch jetzt schon.

BTTC-Geschäftsstellenleiter Melchior sagt über das 2009 installierte, gasbetriebene Heizkraftwerk: „Wir verbrauchen nur noch etwa ein Drittel des Stroms, eine Ersparnis von 10.000 Euro pro Jahr.“

Doch es wäre zu kurz gedacht, das Thema Nachhaltigkeit auf Kosten und Spareffekte zu reduzieren.

David Kozlowski ist Leiter für Grundsatzfragen, Sportinfrastruktur und Nachhaltigkeit beim LSB.

„Nachhaltigkeit müssen wir immer in zwei Richtungen betrachten“, sagt er. Einerseits bringe der Sport Menschen in die Natur, sie ihnen so näher. „Anderseits kann Sport die Umwelt schädigen.“ Man denke an Abfall und Transport-Emissionen bei Sportveranstaltungen, Naturzerstörung durch Outdoor-Aktivitäten, Lärm- und Lichtverschmutzung in Städten oder Viersiegelung von Flächen.

Insofern trägt der Sport auch eine Verantwortung. Kozlowskis Aufgabe ist es, Sportorganisationen dafür zu sensibilisieren und bei Maßnahmen zu unterstützen, auch bei der sozialen Nachhaltigkeit. „Wir helfen Vereinen, fair gehandelte Sportartikel zu beschaffen, gleichen dazu höhere Kosten aus“,

sagt Kozlowski. Wobei es auch hier kompliziert werden kann. So wollten einige Vereine europäisch produzierte Artikel beziehen, die natürlich bessere ökologische Fußabdrücke haben als importierte.

„Nur sollte dieses Projekt die sozialen Bedingungen in Schwellenländern wie Pakistan verbessern.“

Auch bei interkulturellen Fußballturnieren, die Austausch fördern, müsse man Emission hinnehmen.

Ohnehin gehören zur Nachhaltigkeit stets die wirtschaftliche, soziale und ökologische Dimension.
Im Idealfall ergänzen sich alle drei, im schlechtesten Fall widersprechen sie sich. So kann etwa eine neue, teure Sportanlage lukrativ oder umweltschonend sein, jedoch sozial Schwächere ausgrenzen. Und es verschieben sich Prioritäten in Zeiten, in denen Regierungen den Klimawandel relativieren.

Auch Kozwlowski bekommt bei Finanzierungsfragen auf höheren Ebenen dort Veränderungen mit.

„Soziales und Wirtschaftliches gewinnt an Bedeutung, das Ökologische gerät in den Hintergrund.“

Dabei ist da bereits viel erreicht worden, wie das Positionspapier „Nachhaltiger Sport 2030“ zeige.
Darin nennt der Beirat „Umwelt und Sport“, angesiedelt beim Umweltministerium, Leitprinzipien.

Das Positionspapier befasst sich mit der Verantwortung des Sports und entwickelt einige Leitlinien für nachhaltigen Sport. Es betont die Bedeutung naturnaher Erholungsräume, von Aktivitätslenkung gegen Nutzungskonflikte, ökologischer Modernisierung von Sportstätten. Dazu die Verantwortung der Sportartikelindustrie, die Notwendigkeit gemeinsamen Handelns, die Rolle der Digitalisierung. „Ich sehe das Papier als Resümee, den aktuellen Stand des Diskurses um Nachhaltigkeit im Sport“, sagt Kozlowski, „allerdings ist es für die Basis, die Vereine und Verbände, nicht direkt anwendbar.“
Die Aufgabe als LSB sei es, Inhalte des Papiers zu übersetzen, konkrete Empfehlungen zu geben. So gibt es auf www.lsb-berlin.de/themenwelten/nachhaltigkeit/quick-check einen Quick Check für Vereine, wo sie bei Nachhaltigkeit stehen. Zu jeder der Dimensionen ökonomisch, sozial, ökologisch gibt es dazu beispielhafte Aussagen, von denen Verein und Verband auswählen können, welche zutreffen. Am Ende erfolgt eine Auswertung, an der sich ablesen lässt, wo man bei der Nachhaltigkeit liegt. Der LSB hat das Projekt mit Berliner Sportvereinen und dem TÜV Rheinland entwickelt, es steht jedem Nutzer kostenfrei zur Verfügung.

Generell könne Digitalisierung helfen, aber Server und Endgeräte verbrauchten ebenfalls Energie, mahnt Kozlowski, der hofft, dass die Fußball-EM 2024 nachhaltige Standards zu Events gesetzt hat, die gehalten werden. Gleichzeitig dürfe man Vereine nicht überfordern mit Kriterien und Siegeln.
Der LSB setzt jedenfalls auf Vernetzung, auch um Genehmigungen für Sportevents zu erleichtern.


So sind nicht nur Behörden Gesprächspartner, auch viele Natur- und Umweltschutzorganisationen. Wie das Projekt „Breitensport, Umwelt und Nachhaltigkeit“ (BUNA), auch ministeriumsgefördert. Dort ist Alice Berger Projektkoordinatorin. „BUNA ist ein bundesweites Projekt, das sich mit der Integration von Nachhaltigkeit im Breitensport beschäftigt“, sagt sie. Der LSB ist oft eingebunden.

So arbeite man zusammen, um Handlungsempfehlungen für Vereine und Verbände zu entwickeln. Zudem „haben wir in den letzten zwei Jahren erforscht, was bereits im Breitensport passiert und was noch getan werden muss“, sagt Berger, die die Ergebnisse am 24. Juni in Berlin vorstellen darf.
Vor der Präsentation kann sie verraten, dass schon viel getan wird, aber Herausforderungen bleiben.

Berger schwärmt von brachliegenden Vereinsflächen, die zu Blühwiesen umwandelt wurden, von Projekten mit Kindern zur gesunden Ernährung. „Aber es findet situativ statt, nicht in der Fläche.“
Oft lebe es von Engagement Einzelner. Daher fordert sie, „die Mehrwerte von Maßnahmen klar zu kommunizieren“. Etwa, dass LED-Beleuchtung Stromkosten spare oder neue Duschköpfe Wasser.
Für viele Menschen ist Nachhaltigkeit ein zu weiter Begriff. Die gängigste Definition dürfte eher nur Fachleuten geläufig sein: „Nachhaltige Entwicklung bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden.“ Das sei vage, sagt Berger, und interpretierbar, „sodass man mit konkreten Themen arbeiten muss“. Oft werde Nachhaltigkeit leider, klagt Berger, zu Unrecht mit einer Art Verbotskultur assoziiert.
„Sie hat Mehrwerte und ist nicht nur ein Zusatz, wo man stöhnt: Das sollen wir auch noch machen.“
Wenn man sich etwa für mehr soziale Nachhaltigkeit einsetzt, erreicht man auch neue Zielgruppen.
Berger gibt zu, dass es noch blinde Flecken gebe, etwa wie man mehr Inklusion im Verein erreiche. „Doch das Gefühl, dass man nun noch tausend Sachen mehr machen muss, sollte nicht entstehen.“

Kommunikation sei entscheidend, auch Transparenz, um das Vertrauen der Mitglieder zu gewinnen, falls Monatsbeiträge steigen. Doch es gebe auch kreative Finanzierungsmodelle wie Crowdfunding. „Es ist immer sinnvoll, eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln“, rät die Expertin.

Berger verweist als Orientierung auf 17 Nachhaltigkeitsziele, die in der Agenda 2030 der Vereinten Nationen festgelegt wurden: von Bekämpfung der Armut bis hin zu Abfallvermeidung. Jedes der Ziele hat Unterziele, die erreicht werden sollen. Diese kann ein Verein oder Verband anschauen und daraus abgeleitet beispielsweise Recycling-Workshops anbieten oder lokale Bedürftige unterstützen. So könne man gemeinsam mit den Mitgliedern überlegen, welche Themen dem Verein wichtig sind, wo Alleinstellungsmerkmale entstehen können, die es bestenfalls bis in die Vereinssatzung schaffen.
So ähnlich lief es beim BTTC in Lichterfelde. „Es gab Diskussionen bei Vorstand und Mitgliedern, ob wir das Grün in Grün-Weiss mit Inhalten füllen wollen“, erzählt Geschäftsstellenleiter Melchior. „Nachhaltigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, insofern haben auch wir uns hinterfragt: Was können wir für einen Beitrag leisten?“ Es gebe viele Vorschläge der Mitglieder dazu, Offenheit sei da wichtig. „Man sollte das Thema auf die Agenda setzen und bei allen Projekten mitdenken.“
Vieles wird ohnehin fällig. „Wir mussten etwa sowieso den Elektroverteiler am Parkplatz sanieren.“ So wurde Ende 2022 eine Ladestation für E- und Hybrid-Autos installiert, bis heute dort 10.700 Kilowattstunden geladen, was mehreren tausend Euro bei normalen Strompreisen entspräche. Der BTTC bezieht seit 2014 Ökostrom und der Überschuss des Heizwerkes wird ins Stromnetz eingespeist. Auch E-Bikes werden hier geladen. Warmes Wasser liefern Kollektoren vom Dach des Clubhauses.


Nicht jeder Verein hat diese Möglichkeiten. Doch nutzen viele nicht die Chancen ihre Sportanlage. Jutta Katthage ist Ingenieurswissenschaftlerin, Mitglied im Beirat „Sport und Umwelt“, Dozentin der Hochschule Osnabrück, und wurde zur Nachhaltigkeit bestehender Sportfreianlagen promoviert. Sie beschäftigt sich schon lange damit, wie Sport nachhaltiger werden kann, vor allem Sportplätze. So sagt sie zum Beispiel, dass viele Vereine bei ihren Investitionen zu kurzfristig denken würden. „Das ist ein häufiges Problem. Es ist wichtig, den Blick auf die langfristigen Kosten zu richten, vor allem bei der Auswahl von Sportböden, die eine Lebensdauer von 12 bis 15 Jahren haben können.“ Die Instandhaltungs- und Rückbaukosten wurden da in der Vergangenheit oft nicht berücksichtigt. Zudem würden Sportplätze oft zu einseitig vom Nutzen her gedacht. „Es hat einen großen sozialen Nutzen, wenn eine Fläche für viele Menschen zur Verfügung steht. Für mehrere Sportarten anstatt nur einer, für Kinder und Jugendliche bis hin zu Erwachsenen und Senioren, für Schulen und Kitas, für Veranstaltungen, Freizeitaktivitäten und kulturelle Events“. So profitieren viele Gruppen davon. Vorbildlich nennt Katthage den Sportplatz Auguststraße an der Kleinen Hamburger Straße 6 in Mitte. „Das ist ein sehr gelungenes Beispiel, wie es im dichten, engen urbanen Raum funktionieren kann. Der Platz wird tagsüber auch als Schulhof genutzt. Es gibt einen kleinen Kiosk, der auch als Vereinsheim fungiert, mit Bänken draußen, wo öffentliche Veranstaltungen stattfinden.“ So führt der ansässige SV Blau Weiß Berolina hier etwa Public Viewings zur Fußball-EM und -WM durch.

Oft helfe es schon, in kleinen Schritten zu denken, was für den eigenen Platz umzusetzen sei.
Verbände wie der LSB hälfen da gerne mit Checklisten, nicht nur zu Bauprojekten, sagt Katthage.
Ohnehin werde das Thema oft missverstanden. „Nachhaltigkeit kommt aus der Forstwirtschaft und ist ganz ursprünglich ein wirtschaftliches Modell, wie man gut und langfristig wirtschaften kann.“ Tatsächlich wurde der Begriff schon 1713 erstmals im deutschen Sprachraum schriftlich verwendet.
Insofern glaubt die Expertin, dass Nachhaltigkeit als Thema auf jeden Fall Zukunft habe. „Das Thema hat in den 14 Jahren, in denen ich dazu forsche, an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen.“
Dennoch gibt es natürlich weiterhin Spielraum für Verbesserungen. Gerade bei den Förderungen.

Beim BTTC fanden sich Spender, auch unter den Mitgliedern, sagt Geschäftsstellenleiter Melchior.
„Aber es ist wichtig, sich um Fördergelder zu bemühen“, sagt er. Es gebe da mehr als man so kenne.  Und kritisiert zugleich. „Es ist typisch Deutsch, sehr umfangreich und nicht auf einer DIN A4-Seite zu erledigen.“ Wären die Formalitäten etwas einfacher, sänke die Hemmschwelle für Vereine sicher. Auch beim BTTC Grün-Weiss ist noch nicht alles umgesetzt, was wünschenswert wäre. „Das nächste große Projekt wäre, dass wir unseren Strom weitestgehend selber durch Solarpaneele auf unseren festen Hallen und auf dem Clubhaus decken“, sagt Melchior. Der Alltag überlagere nur oft solche Vorsätze. Doch wer sich so viel vornimmt wie der BTTC, der kommt irgendwann ans Ziel.

Dieser Artikel ist in der aktulellen Ausgabe unseres Magazins "Sport in Berlin" erschienen".

Autor: Dominik Bardow