Ein Verein für alle – und für Olympia

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Warum bei Pfeffersport so viele die Spiele in Berlin wollen

„Sport ist für uns nicht nur Bewegung, es ist auch soziale Teilhabe und ein Miteinander.“ Wenn Christoph Pisarz über Pfeffersport spricht, dann tut er das nicht nur als Funktionär oder ehemaliger Rollstuhlbasketballer. Er spricht als jemand, der das lebt, was er beschreibt. Seit 2011 ist er Mitglied, seit 2014 fest angestellt – heute ist der 41-Jährige Bereichsleiter für Sportstättenkoordination und Projektleiter der Perspektivwechselprojekte „Rollisport bewegt Schule“ und „berlin barrierefrei“.

Bei Pfeffersport gibt es eine offene Diskussion über Pro und Contra Olympischer und Paralympischer Spiele in Berlin. Pisarz und viele andere im Verein sind dafür. Das hängt auch mit der Vereinsgeschichte zusammen. Aber nicht nur.
Pfeffersport ist mehr als ein Sportverein. Er ist ein Abbild der Gesellschaft. Gegründet 1990, ist er heute einer der größten Kinder-, Jugend- und Inklusionssportvereine Berlins, mit rund 5.500 Mitgliedern, aktiv in fünf Bezirken: Mitte, Reinickendorf, Pankow, Friedrichshain-Kreuzberg und Marzahn-Hellersdorf. Vom Kleinkind bis zur Seniorin – zwischen zwei und über 80 Jahren – hier sind alle willkommen. Und wirklich alle sind gemeint.

Ein Mehrspartenverein, der Inklusion nicht nur mitscrollt, sondern ernst nimmt. Ob Rollstuhlsport, Parkinson-Gruppen, queere Sportangebote, reine Mädchenteams für 13- bis 17-Jährige – Pfeffersport fragt nicht, wie leistungsstark jemand ist, sondern: „Was brauchst du?“ Menschen mit Behinderung leiten hier selbst Trainings an. Teilhabe passiert auf allen Ebenen, nicht nur auf dem Papier. Ganz nach dem Motto: „Mission Inklusion“.

Pisarz weiß, wie entscheidend das ist. Anfangs war er Rennrollstuhl-Nachwuchsathlet. Dann spielte er 25 Jahre lang Rollstuhlbasketball, auch auf Bundesliga-Niveau. Heute coacht er, organisiert Hallenzeiten, ist Übungsleiter an einer Berliner Förderschule und versucht aus der Sicht eines Rollstuhlfahrers seine Erfahrung weiterzugeben. Und kämpft für Teilhabe: „Wir versuchen politisch Einfluss zu nehmen, um etwas zu bewegen.“
Wenn Berlin sich für die Olympischen und Paralympischen Spiele bewirbt, ist das für ihn und den Verein ein Hoffnungsschimmer – ein Hebel für strukturelle Veränderungen, die längst überfällig sind. „Wir hatten bis vor Kurzem noch 3.000 Kinder auf der Warteliste – das hat mit dem Sportstättenmangel zu tun.“ Pfeffersport hofft auf neue Hallen, auf barrierefreie Orte, auf Fördermittel für Trainerinnen und Trainer. „Wir als Inklusionsverein sind natürlich pro Paralympics. Und das heißt automatisch: pro Olympia.“
Denn wer Paralympics will, braucht Olympia dazu. Diese beiden Events getrennt zu denken, hält Pisarz für einen Fehler: „Es muss über Olympia und Paralympics zusammen gesprochen werden – das ist ein großes Event.“ Für Pfeffersport ist klar: Das eine geht nicht ohne das andere. Und beides bringt neue Möglichkeiten – für Forschung, für Entwicklung, für mehr Vielfalt im Sport.

Was er sich konkret wünscht? Dass der Inklusionssportpark im Jahnsportpark endlich fertiggestellt wird – mitsamt barrierefreier Forschungshalle. „Da könnten wir neue Sportarten entwickeln. Und wirklich etwas bewegen.“ Berlin habe bei den Special Olympics 2023 gezeigt, dass es Großveranstaltungen kann. „Aber es gibt noch Luft nach oben: barrierefreie Hotels, Sportstätten, öffentliche Verkehrsmittel – oft funktionieren nicht mal die Aufzüge.“
Ein Vorbild ist für ihn London 2012 – Spiele, bei denen Paralympics nicht die „Spiele der armen Behinderten“ waren, sondern ein echter Publikums-Magnet. „Paralympische Athleten trainieren genauso hart wie Olympioniken – nur mit weniger Unterstützung. Viele müssen nebenbei arbeiten, weil es kaum Förderung gibt.“ Er kennt niemanden aus dem paralympischen Bereich, der über die Bundeswehr abgesichert ist. Und das ist ein systemisches Problem.
Olympische und Paralympische Spiele könnten das ändern.

Senad Mesic ist einer von denen, die das hautnah erleben. Der 37-jährige Bosnier sitzt seit einem Motorradunfall im Rollstuhl. 2010 kam er nach Berlin, 2015 zu Pfeffersport, heute spielt er in der Spielgemeinschaft Pfeffersport-Alba in der 2. Bundesliga, coacht nebenbei das Regionalliga-Team von Pfeffersport. Im Oktober kämpft er mit der bosnischen Nationalmannschaft bei der EM in Sarajevo um eine Medaille.
„Für mich persönlich ist Basketball alles“, sagt Mesic. „Ohne Sport würden wir einfach zu Hause bleiben. Aber im Verein, da sind wir unter Leuten und haben Spaß.“ Olympische und Paralympische Spiele in Berlin wären in seinen Augen „super für unseren Sport. In letzter Zeit ist der Rollstuhlbasketball in Deutschland etwas zurückgegangen.“ Er hofft, dass die Paralympics mehr Menschen motivieren würden, den ersten Schritt zu machen. „Wenn sie sehen, wie andere den Sport machen, dann bringt es vielleicht ein paar von ihnen auch in die Vereine.“
Pisarz sieht das genauso. Er blickt außerdem auf die Ausstattung von Sportstätten. „Noch nie hat Barrierefreiheit irgendjemandem geschadet“, sagt er – und meint damit auch Nicht-Behinderte. Kinderwagen, ältere Menschen, Reha-Patienten – sie alle profitieren davon. „Aber ohne Druck von außen bewegt sich nichts. Berlin hat in den letzten 20 Jahren den Sanierungsstau nicht in den Griff bekommen. Da kommt Olympia wie ein Katalysator – oder es passiert weiter nichts.“
Er weiß, dass Olympia-Gegner sich vor allem wegen der Kosten sorgen. „Ich verstehe das Argument. Aber ich glaube nicht, dass das Geld, wenn man Olympia ablehnt, dann trotzdem da ist für die Infrastruktur. Das wäre doch längst passiert.“ Für ihn ist klar: „Wenn die Spiele nicht unterstützt werden, wird der Sanierungsstau auch nicht abgebaut, und dann haben wir gar nichts gewonnen.“

Pisarz denkt groß. Von einem „Paradigmenwechsel“ spricht er, wenn er beschreibt, wie der Rollstuhl in der Gesellschaft noch immer als Symbol für Einschränkung gilt – und nicht als Sportgerät. „Wenn Kinder sehen, wie andere mit dem Rollstuhl Sport machen – dann verändert das ihr Denken. Und das wiederum verändert unsere Gesellschaft.“ Wertevermittlung, Gesundheitsförderung, sozialer Zusammenhalt – alles Dinge, die bei Pfeffersport ohnehin schon gelebt werden. Olympia wäre für Pisarz ein weiterer Schritt. Und eine einmalige Chance. „Die verschiedenen Nationen treffen sich, die großen Stars sind zu sehen. Das ist etwas, das man nicht vergisst und dieses Einmalige sollte Berlin erleben dürfen.“

Pfeffersport wäre bereit. „Wir können als Volunteers helfen, wissen, wie man mit Rollstuhlsportlern umgeht, wie faire Sprache funktioniert.“ Begegnung zu schaffen ist ihre Stärke – sei es durch Rollstuhlrugby im Pausenprogramm oder gemeinsame Projekte mit anderen Verbänden. Berlin, sagt Pisarz, sollte sich trauen, den Sanierungsstau anzugehen. Die Gesellschaft sollte dies als Chance nutzen weiterzudenken. Und den Sport als das zu sehen, was er für viele längst ist: ein Ort der Begegnung, der Teilhabe, der Zukunft. „Olympische und Paralympische Spiele können eine riesige Stütze für die gesamte Gesellschaft sein.

Autorin: Franziska Staupendahl