Ein neues, nachhaltiges Sommermärchen ist mehr als Fußball plus Fanmeile.Daher werden ökologische, soziale und ökonomische Projekte im Sport und darüber hinaus gefördert – zum Beispiel die gemeinnützigen Organisationen „Common Goal“ und „buntkicktgut“, das soziale Unternehmen „Amandla“ oder der Verein Lernort Stadion mit seinem „#TeamEuropa“-Projekt und viele andere.
An einem Sportplatz im Wedding freuen sich Familien auf Fußball. Sie stehen am abgezäunten Gelände, warten, dass das Tor aufgeht. Dann strömen die Kids hinein, um sich anzumelden für „Football Sessions“ des „Safe-Hub Berlin“. Auf Deutsch: ein offenes Fußballtraining auf einem Kunstrasenplatz, rundherum ist noch Baustelle. Hier entsteht ein Sport- und Bildungscampus, die Nachfrage ist groß in dem Brennpunktkiez rund um den Leopoldplatz. Jasmina Srna steht mit am Tisch für die Anmeldungen. Die Geschäftsführerin erklärt: „Wir wollen den Sport nutzen, um jungen Menschen Bildungs- und Beratungspakete an die Hand zu geben, ob es Hausaufgabenhilfe ist oder psychosoziale Beratung.“ Der „Safe-Hub“ ist eines der vielen sozialen Projekte, die im Schatten des großen Fußballs wirken, aber mit gepusht werden. „Wir nutzen die EM für mehrere Bildungsprojekte“, sagt Srna.
Die Stadt Berlin hat sich als Austragungsort viel vorgenommen. In ihrem Leitbild zur EM schreibt die Senatsverwaltung für Inneres und Sport von der Vision einer „vielfältigen UEFA EURO 2024“, die Menschen aktiviere, global zu denken und lokal zu handeln, die Fairplay vor allem in „der sozialen, ökologischen und ökonomischen Nachhaltigkeit“ vorlebe. Wie das gemeint ist, kann Karlos El-Khatib erklären. Er ist Referent für Grundsatzfragen beim Landessportbund (LSB) und war bei der Leitbildentwicklung der „Host City Berlin“ eingebunden.„Die Grundfrage war immer: Wie kann die Fußball-EM Positives für Berlin bewirken?“, erzählt er. Die Senatsverwaltung nennt es gern „Stadtrendite“, also ein Gewinn vor allem in sozialer Hinsicht. Denn allen Beteiligten war klar: Die Skepsis gegenüber Sportgroßveranstaltungen ist gestiegen in der Bevölkerung. Nur Fußball plus Fanmeile reicht nicht für ein „Sommermärchen“ wie noch 2006. Zumindest auf lokaler und regionaler Ebene würde Karlos El-Khatib der Skepsis widersprechen. „Wir sehen in Berlin eine Vielzahl an Organisationen, die den Sport für soziale Themen nutzen“, sagt er. Neben dem LSB und Berliner Fußball-Verband (BFV) auch kleine Vereine und Gruppen.
Großes Kulturprogramm zur EURO 2024 gestartet
Der Senat stellte über eine Million Euro Fördermittel bereit, um das Leitbild umzusetzen. So konnte man sich beim LSB mit nachhaltigen Projekten bewerben, für bis zu 50.000 Euro Bezuschussung. El-Khatib berichtet von Projekten zur CO2-Einsparung oder Schulungen gegen Diskriminierung. Tennis Borussia Berlin etwa biete Beratung für andere Vereine an, die sich nachhaltig aufstellen. Die Vereine FC Internationale und Polar Pinguin hielten einen Fahrradspieltag ab, samt Sternfahrt zum Spiel. Der FSV Hansa 07 aus Kreuzberg setze auf fair gehandelte Sportartikel und Fußbälle. Wobei die genannten Projekte teilweise über andere Fördermittel laufen, nicht nur zur EM. So ein Turnier öffnet viele Fördertöpfe, auch bei Bundesregierung oder Verbänden wie DFB und UEFA.
Während der EM gibt es also ein großes Kulturprogramm, viele Workshops in den Kiezen, Diskussions-, Film- und Themenabende, am Poststadion ein „Pride House“ für queere Belange. Nur kommt vieles davon nicht bei einfachen Sportinteressierten an. „Ein Tor der Nationalmannschaft kriegt sicher mehr Aufmerksamkeit als alle guten Aktionen, die wir starten“, gibt El-Khatib zu. Trotzdem sei es die Aufgabe einer Organisations-Struktur, dafür zu sorgen, dass das Turnier auch unabhängig von Spielergebnissen positiv gesehen wird und auch in den Breitensport wirken kann. Auch für eine mögliche Olympiabewerbung Berlins etwa ist es wichtig, Vorbehalte zu entkräften. „Wir wollen im Rahmen der EM auch vor Ort für den Berliner Sport werben“, sagt El-Khatib.
„Es kann sicher immer mehr sein“
Beim Berliner Leitbild für die EM war von Anfang an „Common Goal“ beteiligt. Bekannt ist die Organisation dafür, dass ihr Fußballprofis und -trainer weltweit ein Prozent ihres Gehaltes spenden. Die gemeinnützige GmbH sitzt in Berlin, in einem Hinterhof in Moabit. „Wir sehen uns als Netzwerker“, erklärt Mitgründer Johannes Axster. Allein im Berliner Büro arbeiten über 30 Leute daran, weltweit soziale Projekte mit Fußball-Bezug zu unterstützen. „Vieles vom dem, was wir tun, kann man nicht sehen oder anfassen“, sagt Axster. Man baue eben keine 100 Bolzplätze, „aber wir kümmern uns darum, dass die Plätze mit Inhalten bespielt werden“. Sein Traum vom EM-Effekt klingt daher eher abstrakt: „Ich wünsche mir, dass die entstandenen Strukturen bleiben und der rege Austausch in der Stadt.“ Dafür war „Common Goal“ auf vielen Ebenen dabei: Schon bei der EM-Bewerbung war die Organisation Botschafter des Spielorts Berlin. Sie organisiert das „Berlin Forum 2024“ ebenso wie den „Football for Sustainibiliy Summit“ in Berlin. Beide internationale Kongresse während der EM bringen Experten aus den Bereichen Nachhaltigkeit, Sport, Politik, Zivilgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien zusammen. Diskutiert wird über Themen wie Klimaschutz, Menschenrechte und Geschlechtergerechtigkeit. Klingt nach viel langfristig ausgerichteter Hintergrund-Arbeit, die wertvoll, aber für den einfachen Stadion-Besucher oder Passanten auf Berliner Straßen nicht so sichtbar ist wie etwa eine Fanmeile. Trotzdem muss es beides geben. Die Fußball-Highlights schaffen erst Anlass und Aufmerksamkeit für Themen, die sonst noch mehr im Schatten stünden.
„Es kann sicher immer mehr sein“, sagt Axster, angesprochen auf das eine Prozent, das Fußballer ihnen spenden. Nur sei nicht jedes Mitglied Millionär. Die spendeten dafür oft mehr, langfristig und eher diskret. Trotzdem würde man, um die Frage die beantworten, was die Fußball-EM Gutes für Berlin und den Breitensport tun könne, gerne in leuchtende Kinderaugen schauen, statt Leitbilder und Strukturen zu erklären. Axster versteht den Wunsch und verweist auf das Berliner Netzwerk, das im Rahmen der EM entstanden auf, und auf Organisationen wie buntkicktgut, mit ihrem „KiezKick EURO 2024 Projekt“ oder das soziale Unternehmen Amandla und seinen „Safe-Hub“ im Wedding.
Womit wir wieder bei Jasmina Srna und ihren Kids am Kunstrasenplatz wären, an dem eines Tages ein mehrstöckiges Gebäude mit Kiezcafé, Kita, Beratungsangeboten und Sporträumen stehen soll. Seit fast zehn Jahren kämpft Srna für einen „Safe-Hub“. Der erste Spatenstich ist immerhin schon gefallen auf dem Areal des Bezirks, der das Leuchtturmprojekt ebenso fördert wie viele Stiftungen. Auch Organisationen wie DFL und FIFA, die Fans oft und teilweise auch zu Recht kritisieren. „Es braucht beides, den Eventcharakter des Sports und Profis, zu denen Kinder aufblicken können, um gleichzeitig auch im Kiez zu wirken, an der Basis die richtigen Werte zu vermitteln“, sagt Srna. Sie verweist auf ihr „Play Maker“-Programm, das Jugendliche ausbildet, im Beruf und als Coaches.