Spiegel-Bestseller-Autor Dr. Rüdiger Maas sieht die „Generationen als Chance für Sportorganisationen“. Bei der LSB-Sportentwicklungskonferenz am 21. Juni 2025 nimmt der Diplom-Psychologe die Teilnehmenden mit auf eine Reise durch die Generationen und gibt Impulse für die Vereinsentwicklung. Franziska Staupendahl sprach vorab mit ihm:
Herr Dr. Maas, was zeichnet heutige Jugendliche aus?
99,7 Prozent von ihnen haben ein Smartphone, mit dem sie vier bis zwölf Stunden täglich im Netz sind. Wir sehen, dass Jugendliche permanent mit Informationen vollgestopft werden und Urteile fällen müssen. Aber daraus lassen sich keine Rückschlüsse auf Charakterzüge ziehen. Man kann sich immer nur die Umgebung und Einflüsse anschauen. Wenn 95 Prozent der jungen Menschen Influencern folgen, Erwachsene aber nicht, sind das signifikante Unterschiede. Was eine Generation ausmacht, ist nicht das Geburtsjahr allein – sondern, in welchem Alter man von gesellschaftlichen Veränderungen geprägt wurde.
Außerdem nehmen Eltern heute viel ab. Das sind alles erlernte Dinge, die man nicht mehr so ohne weiteres ablegen wird. Und wenn sie in die Arbeitswelt eintauchen, wo sie on top weniger machen müssen, als ihre Vorgängergenerationen wird das ihre Wahrnehmung auf Arbeit ebenfalls prägen – sie werden nicht mit 40 plötzlich anfangen, mehr zu tun.
Welche gesellschaftlichen Trends beeinflussen die verschiedenen Generationen im Sportverein? Gibt es Unterschiede in der Art und Weise, wie jüngere und ältere Generationen ihre sportlichen Interessen ausleben?
Heute gehen Eltern oft mit in die Vereine, weshalb diese nicht mehr die zweite Familie sein können – denn es ist ja immer ein Teil der „originären“ Familie dabei. Das ist der momentane Zeitgeist und der sorgt für eine andere Vereinswahrnehmung. Wir haben gerade eine Umfrage im Spitzensport gemacht und waren erstaunt, wie viele tatsächlich sagten, sie machen das nur, weil es die Eltern wollen. Eltern haben einen enormen Reflektionseinfluss – ebenso wie Social Media.
Sehen Sie eher Chancen oder auch Probleme für die Vereine?
Eine Chance ist, dass Kinder früher in den Sport kommen, weil die Eltern dabei sind. Heute können sie schon mit drei Jahren zum Karate-Unterricht. Aber es ist ein Nachteil, wenn das auch bei Grundschülern noch der Fall ist. Dann lenken die Eltern ab oder sind die falschen Berater – das sollte im Training immer noch der Trainer oder die Trainerin sein.
Dabei ist der Sportverein in unserer digitalen Welt wichtiger denn je. In der Zeit sind die Kinder nicht am Handy, nicht im Abstrakten, sondern erleben reale soziale Situationen. Sie müssen sich auf andere einlassen. Diese Dinge sind unglaublich wichtig für die Entwicklung – heute wesentlich mehr als früher, als man solche Erfahrungen selbstverständlicher im Alltag machte.
Wie sieht es in einem Verein aus? Wer trifft dort aufeinander?
Im Verein gibt es tradierte Werte. Wer schon 30 Jahre im Verein ist, hat gefühlt eine höhere Hierarchiestufe als der Neue, der reinkommt. Dieses Vereinsdenken verstehen junge Leute überhaupt nicht, weil sie nach dem Prinzip „was heute in ist, ist morgen out“ aufgewachsen sind. Erfahrungswerte sind für sie gar nichts Bewundernswertes – diese werden immer hinterfragt. Das sind viele Ältere wiederum nicht gewöhnt. Außerdem sind heute, wie erwähnt, die Eltern stärker involviert. Zum Beispiel im Fußball üben Eltern zunehmend Druck auf Trainer aus, wenn die Kinder nicht zum Einsatz kommen. Oft sind sie beim Training dabei, sodass die Kinder ihre Eltern eher nach Feedback fragen, als den Trainer. Das sind Faktoren, die dem Zeitgeist geschuldet sind – so erleben Kinder heute die Welt und den Sport. Sie wachsen außerdem in einer Zeit auf, in der man Bundesjugendspiele, Gewinne oder Spiel-Leistung in Frage stellt – Dinge, die für den Sport unabdingbar sind.
Wie kann eine erfolgreiche generationsübergreifende Zusammenarbeit im Verein klappen?
Wir müssen Unterschiede akzeptieren – und das wertfrei! Wir müssen schauen, wie wir andere abholen. Aber wir dürfen die Jungen nicht mit Samthandschuhen anfassen und Konflikten aus dem Weg gehen. Wir sollten einfach ehrlicher und wertschätzender in der Kommunikation sein. Zum Beispiel sollten sich die Älteren nicht aufregen, wenn die Jüngeren ständig am Handy sind. Erstens bringt das nichts, zweitens sind wir alle permanent am Handy. Wichtiger wäre es, die Kinder so zu begeistern, dass das Handy nicht mehr wichtig ist. Es wird anspruchsvoller für Vereine, nicht nur wegen der Soziodemografie. Früher haben sich junge Menschen nicht sofort beschwert – heute schon. Dadurch müssen Vereinsvertreter genauer werden und aufpassen, was sie sagen – sie dürfen sich keine rassistischen oder sexistischen Ausfälle leisten, das war nie in Ordnung, wurde aber dennoch irgendwo toleriert, heute ein absolutes No-Go. Man braucht einfach Leute, die wirklich Lust auf die Jüngeren haben. Wer sich wirklich auf Jugendliche einlässt – das immer schon getan hat –, der hat auch heute keine Probleme damit.
Wie läuft im Ehrenamt der Übergang zu den jüngeren Generationen? Wie erfolgt die Weitergabe von Wissen an Nachfolgende?
Wir machen gerade eine Studie und vermuten, dass Ehrenamt heute wesentlich weniger stattfindet als früher. Jüngere übernehmen deutlich seltener Verantwortung – besonders bei unangenehmen Aufgaben. Der Wissenstransfer läuft außerdem viel schlechter, weil Wissen heute anders aufgenommen wird. Zuzuhören ist den Jüngeren nicht mehr so vertraut. Sie wollen schnell selbst etwas machen.
Generationenkonflikte sind sicher normal. Wie kann ein vernünftiger Umgang damit aussehen?
Absolut. Wenn ein 70-Jähriger ticken würde wie ein 12-Jähriger, wäre das nicht normal. Ich finde, die Älteren sollten sich ihrer Verantwortung stärker bewusst sein und altersgerecht mit Jüngeren umgehen. Ich sehe oft, dass Jugendliche entweder hochgehoben werden und mitsprechen sollen wie Erwachsene – oder umgekehrt wie Kleinkinder behandelt werden. Beides ist problematisch.
In Ihrem Buch „Konflikt der Generationen“ sprechen Sie von „Ambiguitätstoleranz“. Was bedeutet das? Kann man das lernen?
Gemeint ist „Mehrdeutigkeit“ – also verschiedene Meinungen zuzulassen. Momentan haben wir eine Gesellschaft, die sehr ambiguitätsintolerant ist. Das hat viel mit Social-Media-Bubbles und politischen Einstellungen zu tun. Aber das bringt uns nicht weiter. Im Dialog kann man das lernen. Man muss sich gegenseitig zuhören – aber genau das geschieht leider immer seltener.
Sie schreiben auch über Probleme in der Kommunikation – über „Grenzen des Sagbaren“. Ist das ein Hauptgrund für Konflikte? Wie kann man das umgehen?
Kommunikation ist in den meisten Fällen die Basis von Konflikten. Wir müssen präziser und wertfreier sprechen – bis zum Ende zuhören und einen gemeinsamen Nenner finden. Da sind wir wieder bei der Ambiguitätstoleranz.
Wie ist die moderne Einstellung zum Thema Sport und Sportverein?
Individualsport wird immer wichtiger – zum Beispiel Fitness, also Dinge, die ich allein machen kann und bei denen ich zeitlich nicht gebunden bin. Junge Menschen wachsen in einer Welt auf, in der sie sich jederzeit selbst Dinge erfüllen kann und tun sich schwer mit regelmäßigen Terminen. Viele Vereine funktionieren aber noch nach dem Prinzip: „Montag, 17 Uhr ist Training.“ Deshalb haben wir so einen großen Zulauf bei Fitnessstudios, wo man nachts um 3 Uhr trainieren kann. Ältere Generationen leben dagegen mehr in Strukturen, weil sie es so gewohnt sind.
Für Vereine geht es um Fragen wie: Wie und womit erreiche ich meine Zielgruppe? Viele machen Angebote für nahezu alle Generationen. Sollten Vereine generationenspezifisch arbeiten?
Ja, absolut. Ein Zehnjähriger hat keine Lust, wenn da Fünfjährige sind – und umgekehrt. Dieses Wunschdenken, für alle gleichzeitig etwas anzubieten, funktioniert selten. Man muss generationenspezifischer denken, auch in der Ansprache.
Wenn Sie einen Sportverein führen würden – wie würden Sie es angehen?
Ich würde zum einen über die Schulen werben, die Ganztagsschule mitnutzen. Bis 2026 muss jedes Bundesland Ganztagsschulen einführen – aber wir haben dafür gar nicht genug Lehrkräfte. Da sehe ich die Sportvereine in der Pflicht. Und dann habe ich schon einmal die Schülerinnen und Schüler und kann schauen, wer für welchen Sport geeignet ist und entsprechend fördern. Außerdem würde ich Eltern-Kind-Sport einführen. Wenn die Eltern eh die ganze Zeit dabei sind, können sie auch gleich mitmachen.
Im Jugendalter würde ich viel mehr über Wettkämpfe gehen, die Chance bieten, sich zu messen. Und ich würde Flexibilität bei den Uhrzeiten einführen – gerade abends, für Berufstätige mit längeren Arbeitstagen.
Zum Schluss: Haben Sie einen Tipp, wie Vereine auch künftig „ein Ort für alle“ bleiben können?
In der heutigen Gesellschaft alle einzubeziehen, ist schwierig. Ich kann zwar Angebote schaffen, aber ich kann nicht alles von außen steuern. Es ist nicht schlimm, das differenziert zu sehen. Wir haben einfach unterschiedliche Ansprüche – ohne dass jemand ausgeschlossen wird. Alle mitzunehmen ist ein schönes Ideal, aber das wird unserer Gesellschaft nicht gerecht. Und die meisten wollen das auch gar nicht, wenn man mal genauer hinschaut.
Hier geht es zur Anmeldung für die LSB-Sportentwicklungskonferenz am 21. Juni 2025.